Verkehrsvertrag, was bedeutet das eigentlich? Berlin und Brandenburg verhandeln mit der S-Bahn über ein neues Vertragswerk. |
45 Millionen Euro. Diese Summe möchte der Berliner Senat bei seinen Zuschüssen an die Berliner S-Bahn einsparen, berichten die Berliner Tageszeitungen. Hintergrund ist der Ende 2001 ausgelaufene Verkehrsvertrag zwischen den Ländern und der S-Bahn Berlin GmbH. „Da die S-Bahn noch immer ihre Leistungen erbringt und vom Land Zuschüsse erhält, gilt der Vertrag de facto weiter,“ weiß R. P., der Verkehrsplanungsmanager bei der S-Bahn Berlin GmbH. Doch Land und S-Bahn befinden sich im Augenblick in den Verhandlungen für einen neuen Verkehrsvertrag. Der Verkehrsplanungsmanager verdeutlicht die Bedeutung des Verkehrsvertrages für die S-Bahn: „Mit ihm steht und fällt die Zahl der Züge, die wir täglich durch Berlin fahren, und die Höhe der staatlichen Zuschüsse, die wir dafür erhalten. Er wird die Arbeit des Unternehmens für die nächsten Jahre beschreiben.“ Doch was hat es mit dem Verkehrsvertrag eigentlich auf sich? ÖPNV ist Teil der Daseinsvorsorge „Die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge“, heißt es im ersten Paragraphen des „Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs“. Das 1993 in Kraft getretene Regionalisierungsgesetz ist Dreh- und Angelpunkt für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV), den Betreiber wie DB Regio, die Prignitzer Eisenbahn, die Lausitzbahn oder die S-Bahn Berlin GmbH durchführen. Es regelt grundsätzlich, wie der SPNV zu organisieren und zu finanzieren ist. Da der öffentliche Personennahverkehr Teil der Daseinsvorsorge ist, bestellt der Staat bei Verkehrsunternehmen die entsprechenden Leistungen und trägt zu deren Finanzierung mit Zuschüssen bei. Diese Zuschüsse sind notwendig, da die Verkehrsunternehmen ihre Kosten im ÖPNV nicht allein aus den Fahrgelderlösen decken können. Für die Anbieter sind also Fahrkarteneinnahmen und Betriebskostenzuschüsse in gleicher Weise von Bedeutung. Leistungen und Zuschüsse werden zwischen beiden Seiten in einem Verkehrsvertrag vereinbart. Wer bestellt Verkehrsleistungen bei wem? Besteller der Verkehrsleistungen im SPNV sind die Länder, auch Aufgabenträger genannt. Dazu erhalten sie vom Bund seit der Bahnreform jährlich Regionalisierungsmittel; in Brandenburg sind es 2003 rund 275 Millionen, in Berlin etwa 280 Millionen Euro. Zusammen stellt der Bund 6,7 Milliarden Euro zur Verfügung. Jährlich steigt der Betrag um 1,5 Prozent. Diese Mittel dienen in erster Linie dem SPNV. In Berlin ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit Peter Strieder als Senator zuständig, in Brandenburg das Ministerium für Städtebau, Wohnen und Verkehr (MSWV) mit Hartmut Meyer als Minister. Die Ziele, welche das Land mit Blick auf die Organisation des Nahverkehrs verfolgt, sind in landesspezifischen ÖPNV-Gesetzen und Nahverkehrsplänen festgeschrieben. Die gewünschten Leistungen können direkt an einen Verkehrsbetrieb vergeben oder ausgeschrieben werden. Bei einer Ausschreibung kann sich jedes interessierte Verkehrsunternehmen bewerben. Den Zuschlag erhält dann das Unternehmen mit dem attraktivsten Angebot. Nach dem europäischen Wettbewerbsrecht sollen künftig alle Verkehrsleistungen ausgeschrieben werden. Nach der Vergabeentscheidung über die Verkehrsleistungen erfolgen die abschließenden Verhandlungen und der Vertragsschluss durch den Aufgabenträger oder einen von ihm Beauftragten, z.B. den Verkehrsverbund, sowie dem ausgewählten Verkehrsunternehmen. Verkehrsvertrag regelt Leistung und Zuschüsse Der Verkehrsvertrag stellt den rechtlichen Rahmen für das Verhältnis von Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen dar. Mit der Vereinbarung kennt das Unternehmen die gestellten Forderungen und den Zeitraum, für den die Leistung bestellt ist. Dies schafft Planungssicherheit. Der Verkehrsvertrag regelt, wie viele Kilometer gefahren werden sollen und wie dicht das Angebot auf den einzelnen Strecken sein soll. Dabei werden dem Verkehrsunternehmen durchaus Spielräume eingeräumt, z.B. bei sich veränderndem Verkehrsaufkommen von Fahrplan zu Fahrplan zu reagieren, Sonderverkehre einzurichten, Bauarbeiten durchzuführen oder operativ einzugreifen. Doch neben quantitativen gibt es auch qualitative Vorgaben. Dazu gehören Pünktlichkeit, Sauberkeit, Platzangebot, Ausstattung der Fahrzeuge und Bahnhöfe, sowie die Qualität der Kundeninformation. Auch Fragen des Vertriebs von Fahrausweisen, des Betreibens von Kundenzentren, die Erreichbarkeit des Verkehrsunternehmens und der Umgang mit Kundenanliegen können vereinbart werden. Weiterhin kann es Festlegungen zum Tarif geben; beispielsweise, dass ein Verbundtarif anzuwenden ist. Zugleich regelt der Verkehrsvertrag die Höhe und die Zahlungsweise der Betriebskostenzuschüsse, die der Aufgabenträger dem Unternehmen im Ausgleich für seine Leistung zahlt. Manchmal wird auch die Förderung von Investitionen, z. B. bei der Beschaffung neuer Fahrzeuge vereinbart. Werden vertragliche Vorgaben nicht erbracht, sind Regelungen über mögliche Sanktionen festgeschrieben. Schließlich enthält der Verkehrsvertrag auch Vorgaben zum Abrechnungsprozedere. Dazu gehören Festlegungen zur Organisation einer detaillierten Leistungsabrechnung der tatsächlich gefahrenen Zugkilometer. So kann sich jeder Zugausfall auswirken. In der Regel gibt es dafür aber Ausgleichsmöglichkeiten. Die Abrechnung der Qualitätsstandards kann nicht in allen Parametern -wie z.B. im Falle der Pünktlichkeit- objektiv messbar nachgewiesen werden. Eigenschaften wie Sauberkeit werden in Befragungen und Stichproben des Aufgabenträgers überprüft. Können Vorgaben nicht eingehalten werden, wird der vereinbarte Zuschuss verringert. Um beiden Parteien, Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen, Planungssicherheit beispielsweise für die Realisierung von Investitionen zu geben, sollten Verkehrsverträge über mehrere Jahre geschlossen werden. |
Im Dezember 2002 unterzeichneten Bahnvorstandsvorsitzender Hartmut Mehdorn und Brandenburgs Verkehrs- minister Hartmut Meyer den Verkehrsvertrag für den SPNV in Brandenburg. Er gilt für zehn Jahre bis 2012 und umfasst Leistungen für 1,97 Milliarden Euro, die bei DB Regio Berlin-Brandenburg bestellt sind. Er enthält aber auch einen Passus, wonach bis Ende der Vertragslaufzeit die Hälfte der Gesamtleistungen ausgeschrieben werden soll. Das heißt DB Regio muss sich für Teilnetze neu bewerben. Aber auch ein anderes Verkehrsunternehmen kann dann den Zuschlag erhalten. Ein Interview mit Dr. Joachim Trettin, DB Regio-Chef in Berlin/Brandenburg, ist in der Punkt 3 vom 9. Januar oder unter www.punkt3.de nachlesbar.
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