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erschienen in: ETH Life, der Onlinezeitung der Technischen Hochschule Zürich, vom 17. Mai 2006 (English Version), und CHemie Plus, Ausgabe 7-8/2006

Neues Leben
für sterbenden Leu

„Das traurigste und bewegendste Stück Stein“ nannte Mark Twain das Luzerner Löwendenkmal. Der sterbende Leu erinnert an die 1792 in Paris gefallenen Schweizergardisten. Wasser, gemein hin als Quell des Lebens bekannt, gefährdet das Sandstein-Monument. Darum untersucht das Expert-Center für Denkmalpflege an der ETH Zürich die berühmte Sehenswürdigkeit und leitet Pflegemassnahmen ab.

Über drei Wochen beobachtete, notierte, fotografierte und kartierte Andreas Küng im Schatten des Pilatus und abgelichtet von tausenden Japanern die 30 Meter hohe, eingerüstete Felswand. Er ist Projektleiter vom Expert-Center für Denkmalpflege an der ETH Zürich. Im Auftrag der Stadt Luzern machten er und seine Kolleginnen eine genaue Bestands- und Zustandsaufnahme der berühmten Sehenswürdigkeit. Daraus sollen Sofortmassnahmen und ein Konservierungskonzept samt Pflegeplan abgeleitet werden.

Hauptproblem: Wasser

Zu den Sofortmassnahmen gehörte es, absturzgefährdete Felsbrocken abzubrechen und kleine Bäume abzusägen und zu vergiften. Ihre Wurzeln hätten sonst die Wand aufgebrochen. Risse wurden mit Mörtel geschlossen, damit sie nicht weiter aufreissen, und eine grössere Felsplatte wurde mit Metallankern befestigt.

Bevor Andreas Küng begann, als Denkmalpfleger zu arbeiten, studierte er Geologie an der ETH Zürich. Schon als Kind sammelte er Steine und kletterte auf Felsen. Deshalb trägt der inzwischen 48jährige auch einen Kletterhelm statt eines Bauhelms. Seine Kenntnisse kommen ihm bei diesem Denkmal zu Gute, denn es ist zugleich Geotop: „Der hier zum Vorschein kommende 'Luzerner Sandstein’ lagerte sich vor 20 Millionen Jahren im Molassemeer ab und verfestigte sich. Als sich die Alpen bildeten, wurden die Sandsteinschichten um 50 Grad schräg gestellt.“

Vom Meeresstrand zum Gebirgsfelsen

Den Verlauf der Horizonte erkennt man noch heute. „Der Löwe selbst wurde aus einem besonders homogenen und soliden Sandstein herausgeschlagen, der nah am Strand abgelagert wurde“, weiss Küng und zeigt auf kleine Löcher und Gänge auf dem Bauch des Löwen. „Hier haben sich einst kleine Krebse eingegraben.“

Schon beim Bau des Denkmals war klar, dass der sterbende Löwe besonders pflegebedürftig ist. Grösstes Problem: Das Wasser, das aus dem Felsen dringt. Immer wieder wurde repariert und restauriert. 1893 liess ETH-Professor und EMPA-Vorsteher Ludwig von Tetmajer einen mannshohen, 30 Meter langen Stollen mit mehreren Zwischenböden um die Löwennische herum in den Sandstein graben. Der Tunnel kappte die Wasser führenden Schichten, um das Sickerwasser abfliessen zu lassen. Ausserdem wurden Furchen in den Fels gezogen, um Regenwasser zu kanalisieren und über kupferne Speier abzuleiten.

Salzterrassen in der Tropfsteinhöhle

„Als wir den Stollen das erste Mal öffneten, war es wie in einer Tropfsteinhöhle: Die Rohre waren geborsten und Wasserfälle plätscherten die Wände hinab.“ Ausserdem entdeckten die 'Höhlenforscher’ kleine, von der Decke hängende Stalaktiten, während sich am Boden Salzterrassen bildeten, den den berühmten Salzterrassen von Pamukkale in der Türkei ähneln. „Die grössten Schäden entstanden, weil das Denkmal nicht ausreichend unterhalten wurde.“ Da einer der Speier abgebrochen war, tropfte jahrzehntelang immer wieder Regenwasser über den Bauch des Löwen. An dieser Stelle bröckelte wie bei gebackenem Blätterteig die steinerne Aussenhaut ab.

„Immer wenn Wasser über den Stein fliesst, lösen sich Magnesium-, Calcium- und Sulfat-Ionen. Sobald das Wasser verdunstet, kristallisieren Salze wie Magnesiumsulfat und Calciumsulfat, also Gips, und lagern sich ab. Nach jedem Regenguss wird die Gipsschicht mächtiger, bis die Oberflächenkruste aufplatzt.“ Der Denkmalexperte beruhigt aber: Es reiche, die „offenen Wunden“ mit Mörtel zu schliessen und sicherzustellen, dass kein Wasser mehr darauf dringt.

Die Luftverschmutzung spielt eine zu vernachlässigende Rolle. „Schwefeloxide haben dem Löwen kaum zugesetzt und in den letzten Jahren stark abgenommen.“ Auch den Taubenkot macht dem Löwen nichts aus. Etliche Taubenpaare brüteten im Entwässerungsstollen und färbten graue Strähnchen in der Löwenmähne. „Vielmehr ist es ein ästhetisches Problem“, ergänzt Küng. „Deshalb wird vermutlich ein unsichtbar dünnes Drahtnetz vor die Nische gespannt.“

Löwe in verhältnismässig guter Verfassung

Zwar sieht der Löwe recht lädiert aus und leidet unter den offenen Wunden, aber Küng kommt zu dem Schluss, dass sich das Monument in recht guter Verfassung befindet: „Felswand und Löwe zeigen die üblichen Verwitterungserscheinungen und der Löwe selbst liegt geschützt in der Nische.“ Allein die vordere, linke Tatze, die aus der Vertiefung herausragt, ist Wind und Wetter ausgesetzt. Darum wurde sie bereits mehrfach erneuert. „Tetmajers Wasserableitungskonzept hat sich bewährt", sagt Küng weiter. „Wenn wir die Bestandteile wieder instand setzen und sie regelmässig unterhalten werden, ist der Löwe ausreichend geschützt.“

Das Expert-Center, das diese Zustands- und Bestandesaufnahme machte und nun Erhaltungs- und Konservierungsvorschläge ableitet, ist ein Beratungs- und Forschungsinstitut für Denkmalpflege. Mit seinen Labors in Zürich und Lausanne ist es eng verbunden mit den beiden ETHs, untersteht aber einer Stiftung. Der Vertrag über die Zusammenarbeit zwischen dem Expert-Center und der ETH Zürich läuft zunächst bis Ende des Jahres. Über eine Verlängerung wird noch entschieden.

 

Mitte April bis Mitte Mai war der 30 Meter hohe Löwenfels für Untersuchungen und Sofort-Massnahmen eingerüstet.

Projektleiter Andreas Küng zeigt die Löcher und Röhren, die Kleinkrebse in den frühzeitlichen Strand gruben.

ETH-Professor Ludwig von Tetmajer liess um 1900 einen Entwässerungsstollen um das Denkmal herum graben.

In dem Tunnel haben sich durch Kalkablagerungen kleine Salzterrassen gebildet.
Fotos: Expert-Center (3), MB
 
 
 
 
 
Das Luzerner Löwendenkmal

Im August 1792, im dritten Jahr der Französischen Revolution, stürmten die sozialrevolutionären Sansculotten, das damalige Pariser Stadtschloss Palais des Tuileries. Sie bezwangen die 1'100 Mann starke Schweizergarde, die König Louis XVI schützen sollte. 760 Söldner mussten das Gefecht mit ihrem Leben zahlen.

Der Offizier und hohe Stadtbeamte in Luzern Carl Pfyffer von Altishofen beauftragte Bertel Thorvaldsen mit einem Entwurf. Da die finanziellen Mittel nicht reichten, den berühmten dänischen Bildhauer mit der Ausführung zu beauftragen, engagierte man den Steinmetz Lucas Ahorn, um den neun Meter breiten Löwen in den ehemaligen Sandsteinbruch zu hauen. Einer Legende nach soll Ahorn als Revanche für Thorvaldsens schlechte Entlöhnung die Löwennische wie die Umrisse eines Wildschweins geformt haben. Im August 1821 wurde das Denkmal feierlich eröffnet.

In seiner Aussage ist die Gedenkstätte nicht unumstritten: Einerseits erinnert es an die Schweizergarde, die für ihre Tapferkeit und Loyalität bekannt war. Andererseits stammen die Söldner aus einem Land, das schon damals für Freiheit und Gleichheit stand. Sie verteidigten aber einen absoluten Monarchen und eine tradierte Ständeordnung gegenüber einer die Menschenrechte einfordernden Bewegung.