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erschienen in: Paula 7, Ausgabe 03/2006. (Unternehmenskommunikation der S-Bahn Berlin).

Karpfen, Cobra & blinde Kuh.
Das Zürcher Tram ist weltweit Vorbild.

Zürich vereint die Eigenschaften einer pulsierenden Metropole mit denen eines „heiteren Luftkurortes“ sagte in etwa Thomas Mann über die Limmatstadt. Und in der Tat hat die kleinste Weltstadt Europas gerade einmal 350 000 Einwohner. Zugleich sei sie die lebenswerteste Stadt der Welt – nicht zu letzt wegen ihres beispielhaft ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs.

„Das Zürcher Tram“ (eine Wendung, an die man sich erst einmal gewöhnen muss) ist Wahrzeichen, ebenso wie das Grossmünster, die teure Bahnhofstrasse und der Zürichsee mit Alpenblick. Weiß-blau, in den Farben Zürichs, zuckelt es durch die Stadt. Selbst der Bankdirektor lässt sich nicht mit seiner A-Klasse zu Hause abholen, sondern fährt jeden Morgen mit dem Tram vom Zürichberg zur Bahnhofstraße.

Mit 2300 Mitarbeitern und 300 Millionen Fahrgästen jährlich ist die städtische „VBZ Züri-Linie“ das zweitgrößte Verkehrsunternehmen der Eidgenossenschaft, gleich nach der Schweizerischen Bundesbahn SBB. Zwei Drittel der Fahrgäste sind auf den 13 Tramlinien unterwegs. Mit 68 Kilometern Streckenlänge ist das Netz ein Drittel so groß wie das Berliner Straßenbahnnetz.

Auf grüner Welle durch die Stadt

1882 setzte sich die erste Pferdestraßenbahn, das „Rösslitram“, in Bewegung. Schon zwölf Jahre später folgte die erste „Elektrische“. Bis 1931 wurden die privaten Trambetriebe von der Stadt aufgekauft und in die „Städtische Strassenbahn Zürich“ integriert – später „Verkehrsbetriebe Zürich VBZ“, heute mit dem werbewirksamen Beinamen „Züri-Linie“.

Als in den 50er und 60er Jahren die autogerechte Stadt propagiert und vielerorts die Straßenbahnen eingestellt oder unter die Erde verbannt wurden, gab es für Zürich ähnliche Überlegungen. Zunächst wurde die Linie 1 auf Trolleybusbetrieb umgestellt (heutige Linie 31). Doch nachdem die Busse im Stau stecken blieben und die „Zürcher Stimmbürger“ die Vorlage für eine Tiefbahn (U-Bahn) per Volksabstimmung ablehnten, drehte der politische Wind. Von nun an wurde das Tram gehegt, gepflegt und gefördert.

Bis heute wird das Streckennetz peu á peu ausgebaut, Gleise wurden auf eigene Trassen gelegt und Umsteigehaltestellen so umgebaut, dass sich kürzeste Wege zwischen Bussen und Bahnen ergeben. Nahezu alle Ampeln haben eine Vorrangschaltung für die „Öffentlichen“, so dass das Tram fast durchweg auf „Grüner Welle“ schwimmt. Alle Tram-, Trolleybus- und die wichtigsten Omnibuslinien verkehren im dichten Takt: im Berufsverkehr im Abstand von sechs bis sieben Minuten, abends alle zwölf Minuten. Darum geht der Zürcher, auch ohne einen Fahrplan zu kennen, zur Haltestelle, denn durch die Liniendopplungen auf den meisten Strecken, kommt spätestens nach drei bis sechs Minuten eine Bahn.

Auf der anderen Seite wurde mit einer recht restriktiven Politik der Autoverkehr vermindert und von der Innenstadt ferngehalten. So gibt es nun lediglich eine begrenzte Anzahl von Parkplätzen, die gebührenpflichtig sind. So sind die meisten Zürcher und Umlandpendler nicht mit dem Auto, sondern mit Öffentlichen unterwegs zur Arbeit. Das Zürcher Verkehrsmodell wurde zum internationalen Vorbild.

Die Luft ist rein

Inzwischen zeigte sich, dass diese schon früh verfolgte Strategie unabdingbar war. Im Winter herrscht meist nebliges Inversionswetter mit geringem Luftaustausch. Hätte sich der Autoverkehr ungebremst entwickelt, wäre Zürich im Smog erstickt. Anfang der 70er Jahre lehnten die Zürcher die Pläne für den Bau einer U-Bahn ab – abermals ein Bekenntnis für das Tram. Zeugnis dieser Zeit ist der zwei Kilometer lange Tunnel zwischen Schwamendingen und Milchbuck – ursprünglich Vorleistung für die U-Bahn. Um an den Mittelbahnsteigen halten zu können, rumpeln die Trams im Linksverkehr hindurch.

Weitere Eigenheit im Zürcher Tramnetz sind die außergewöhnlich großen Steigungen auf die umliegenden Berge. Die Strecken in Richtung Albisgüetli und Zoo haben mit etwa 75 Promille die steilsten Höhenunterschiede; gefolgt von innenstadtstrecken wie der vom Central zur Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), zu der parallel sogar die Standseilbahn „Polybahn“ fährt.

Wenn im Herbst nasses, rutschiges Laub auf den Schienen den Trams zu schaffen macht, heißt es oftmals durch die Lautsprecher in Fahrzeugen und an Haltestellen: „Beep. Information der Züri-Linie. Infolge schlechter Witterung verkehren die Tramlinien in unregelmäßigen Zeitabständen.“ Tramchauffeure, wie sie hier heißen, müssen auf dem Weg zum Zoo zuweilen die Fahrgäste bitten, aus den Beiwagen in den Triebwagen umzusteigen, um die Haftung beim Hochfahren zu erhöhen.

Fahrende Familie mit vier Generationen

Doch das betrifft nur die ältesten noch verkehrenden Züge, die „Karpfen“ aus den 50er Jahren mit ihren unmotorisierten „Anhängern“. Etwas robuster und immer noch fast störungsfrei sind die dreiteiligen „Mirage“-Gelenkzüge aus den 60ern. Während anderswo Fahrzeuge dieser Generation längst aufs Abstellgleis wanderten, prägen sie bis heute das Stadtbild. Ihre motorisierten Anhänger heißen „Blinde Kuh“, weil sie zunächst ohne Scheinwerfer und Scheibenwischer ausgeliefert wurden.

Den größten Teil der Flotte machen die von 1976 bis 1992 gebauten „Trams 2000“ aus. Inzwischen ist man mit ihnen ins Niederflurzeitalter eingestiegen. In der eigenen Werkstatt wurde die „Sänfte“ entwickelt und gefertigt. Diese niederflurigen Mittelwagen wurden in 23 zuvor zweiteilige Tram-2000-Züge eingefügt.

Im Jahre 1996 knallte der Startschuss für eine neue Tramgeneration. Die großen Steigungen, die Haltestellenlängen (Bahnsteige an wichtigen Knotenstationen wie Central und Bellevue sind nur 37 Meter lang) oder die Meter-Spurweite verwehrten es, eine Straßenbahn „von der Stange“ zu kaufen und erforderten eine Eigenentwicklung. Doch Umbrüche in der Rollmaterial-Industrie, technische Probleme bei der Produktion und zahllose „Kinderkrankheiten“ während des Testbetriebes verzögerten die Auslieferung der Protozüge. Seit Ende 2002 schlängeln sich die ersten sechs sogenannten „Cobras“ durch Zürich. Da ihre Räder nicht durch Achsen verbunden sind, sondern einzeln aufgehängt und angetrieben werden, quietschen die Züge nicht mehr in den engen Kurven.

Inzwischen ging die „Cobra“ in Serie und „Karpfen“ und „Mirage-Trams“ werden in den nächsten Jahren ausgetauscht. Auch das Streckennetz wächst weiter: über die Glatttalbahn zum Flughafen und durch das boomende Büro-, Wohn- und Ausgehquartier Züri West. Diskutiert wird sogar eine Renaissance der Linie 1.

 



Central (hier), Bellevue und Hauptbahnhof: Mit 50.000 bis 80.000 Fahrgästen täglich die wichtigsten Tramknoten.

Die niederflurige „Cobra“ ist eine Eigenentwicklung nur für Zürich.

Selbst der Bankdirektor fährt jeden Morgen mit dem Tram vom Zürichberg in die teure Bahnhofstrasse. (Typ „Mirage“)

Fast ausgemustert: Noch aus den 50er Jahren stammen die schmalen, langgestreckten „Karpfen“.

Nirgendwo in der Schweiz herrscht so reges Treiben, wie am Zürcher Hauptbahnhof. Hier mit „Tram 2000“.

Auf 2 Kilometern gehts durch den für eine U-Bahn geplanten Tunnel - im Linksverkehr.

Fotos: Michael Bartnik
 
 
 
 
 
VBZ Züri-Linie

Tram: 13 Linien auf 68 Kilometern Gleisnetz, 197 Millionen Fahrgäste, Spurweite 1000 Millimetern, verkehrt täglich von 5.30 bis 0.30 Uhr alle 6–7 Minuten (Berufsverkehr) bis 12 Minuten (abends), 24-Stunden-Karte für die Stadt Zürich: etwa 4,50 Euro, Kinder oder mit Halbtax 3,20 Euro. www.vbz.ch

Trammuseum Wartau:
Depot mit historischen Wagen www.tram-museum.ch

Die VBZ Züri-Linie betreibt auch die Seilbahn Rigiblick, die Polybahn zur Technischen Hochschule (ETH), die zahnrad- und oberleitungsbetriebene Dolderbahn und die Überlandstraßenbahn Forchbahn (S 18)